In der politisch und wirtschaftlich unsicheren Zeit nach dem Ende des I. Weltkriegs sah sich die Gemeinde gezwungen, andere, ungewöhnliche Wege zu beschreiten. Am 27. November 1919 erwarb man das "Vergnügungsetablissement Elysium", eine Großgaststätte im wilhelminischen Stil, zu einem Preis von 450.000 Reichsmark. Damit erhielt die Sendlinger Kirchengemeinde ihr Gotteshaus und nannte es Himmelfahrtskirche. Nur noch die großen Kastanien und Ulmen im Pfarrgarten erinnern heute an das "Vorleben" des Gebäudes.
Foto: Hans Meiser, 1922
Den Umbau des "Elysiums" zur Himmelfahrtskirche verantwortete Hans Meiser (1881-1956), der spätere bayerische Landesbischof. Meiser hatte seit 1915 die dritte Pfarrstelle von St. Matthäus inne (wodurch ihm der Südwesten Münchens seelsorgerisch anvertraut war), 1919 nahmen ihn Sendlinger Revolutionäre kurzfristig in Geiselhaft, 1920-22 wurde er Pfarrer von Himmelfahrt. Himmelfahrtskirche, München, Innenraum 1920-44Das "Elysium" hatte den Sendlingern bisher als Versammlungsort, Bier- halle, Theater, Oper und Varieté gedient. Es bedurfte eines einjährigen Umbaues, bis in dem rückwärtigen Saal der Gaststätte nach den Plänen des Münchner Baurates Georg Zeitler eine Notkirche eingerichtet war. „Notkirche“ meinte nicht etwa ein Kirchenprovisorium, sondern stand für die bedrängte räumliche Situation der Gemeinde; "Notbau ist Zweckerfüllung mit den einfachsten Mitteln" (Otto Bartning). Oscar Daumiller, Pfarrer der Gemeinde seit 1922, drückte es so aus: "Man fühlte sich hier zu Hause, man kam sich näher, viel mehr als in einem Prachtbau" (Daumiller 1961, S. 40). 1919/20 wurde im Südosten der niedrige Glockenturm angebaut. Der so entstandene, am 7. November 1920 eingeweihte Raum ist bis heute das Kirchenschiff. Bereits am 1. Januar 1920 war die Kirchengemeinde Himmelfahrt selbständig geworden.
Foto: Himmelfahrtskirche in München 1920-1944
Einige Fotografien zeigen, wie die Himmelfahrtskirche zwischen 1920 und 1944 aussah (Abb. oben und links). Es handelte sich um eine Basilika mit breit gelagertem Hauptschiff, das durch rundbogige Pfeilerarkaden zu den Seitenschiffen geöffnet war. Der Innenraum besaß helle Wände und war zurückhaltend dekoriert. An der südlichen Chorwand, hinter der heute dort befindlichen Pilatusskulptur, befand sich eine hölzerne Kanzel mit Darstellungen der Evangelisten. Knapp über den Rundfenstern des Obergadens setze die balkengestützte, zweifach gebrochene Holzdecke an. Der Altar befand sich in einem rechteckigen, kaum erhöhten Chorraum, der durch den stark eingezogenen, niedrigen Chorbogen geradezu bühnenartig wirkte. Dieser Eindruck war nicht zuletzt durch die Bausubstanz der einstigen Gaststätte bedingt. Hinter dem Altar ragte das großformatige Himmelfahrtsbild des Johann von Schraudolph auf – eine Schenkung des früheren Königs Ludwig III. Leider ist es in den Wirren des Zweiten Weltkriegs verloren gegangen. Unweit des Kircheneingangs befanden sich zudem eine Gefallenenkapelle sowie eine kleine Taufkapelle. Der Kirchenkeller hingegen diente weiterhin als gewerblicher Lagerraum.
Der Pfarrbezirk der Himmelfahrtskirche umfasste damals Thalkirchen, Obersendling, das Gebiet um den Waldfriedhof sowie Klein- und Großhadern; die dort lebenden 5-6000 Evangelischen wurden von einem Pfarrer und einem Vikar betreut. In der Himmelfahrtskirche fanden sich sonntäglich etwa 600 Gottesdienstbesucher/innen ein. Ein besonderes Augenmerk der Gemeinde lag in der Zwischenkriegszeit auf der Arbeiterbetreuung und Armenfürsorge, sogar eine Volksküche wurde eingerichtet. Pfarrer Daumiller betrieb mit großem Engagement den Bau von Kleinwohnungen an der Boschetsrieder Straße 13-17.
Foto: Kantor Richard Effert, 1938
Seit den 1920er Jahren existiert an der Himmelfahrtskirche eine große Kirchenmusiktradition, die mit dem engagierten Wirken der Kantoren Richard Effert, Heinz Schnauffer und Klaus Geitner verbunden ist. Der erblindete Effert (Abb. links, mit Ehefrau) erlangte mit seinen Aufführungen von Bach- und Reger-Werken stadtweite Bekanntheit; einige Stücke Max Regers erlebten in der Himmelfahrtskirche ihre Erstaufführung. Schnauffer 1969 und Grill 1999 haben die Bedeutung der Kirchenmusik an der Himmelfahrtskirche eingehend gewürdigt. "Die Seele der Gemeinde war der Kirchenchor" - dieses Urteil Pfarrer Daumillers ist bis heute gültig.
Das Ende der Weimarer Demokratie dürfte innerhalb der Gemeinde intensiv diskutiert worden sein. In der Hoffnung auf eine Erneuerung des "Bündnisses von Thron und Altar" brachten viele deutsche Protestanten 1933 und in den Jahren zuvor den nationalen Parteien großes Interesse entgegen. Obwohl er nach eigenem Bekunden gegen den Nationalsozialismus Bedenken trug und nicht Parteimitglied wurde, warb Pfarrer Daumiller 1932 im Evangelischen Gemeindeblatt München für die NSDAP und die Person Adolf Hitlers (Daumiller 1961, S. 62f.; Jesse 1994, S. 243). Solche Erwartungen wurden bald enttäuscht: Dr. Paul Schattenmann, Pfarrer der Gemeinde seit Frühsommer 1933, wies auf die staatlichen Übergriffe und auf die bedrängte Bekennende Kirche hin. Er hielt 1937 eine - von Landesbischof Meiser verfasste - Predigt und 1938 einen Gemeindevortrag; in beiden Fällen wurde die Verfolgung der Kirche durch die Nationalsozialisten direkt angesprochen. Parteitreue Volksgenossen schrieben mit, weshalb Pfarrer Schattenmann auch zweimal angeklagt worden ist (Hundhammer 2005). Schattenmann war ein eher introvertierter Mensch, "ein stiller Gelehrter" (Lindner 2007).
Um 1940 wirkte an der Gemeinde Fräulein Bete, die als Katechetin Generationen von Sendlinger Schulkindern die kriegszerstörte Himmelfahrtskirche in München anhand des "Gottbüchleins" mit biblischen Geschichten vertraut machte. Traditionell zogen zu Erntedank die evangelischen Kinder durch das Stadtviertel. Ihre kleinen Wagen waren mit Blumen, Obst und Gemüse geschmückt - es gab damals in Sendling noch viele Gärten.
Foto: Dachlose Kirche
Der traditionsgebundene, nationalkonservative Architekt German Bestelmeyer plante 1938, das Kirchenschiff umzubauen und einen zweiten Glockenturm aufzuführen; dies konnte jedoch zeitbedingt nicht mehr realisiert werden. Bereits 1942 und 1943 durch Bomben erheblich beschädigt, ist die Himmelfahrtskirche bei den alliierten Luftangriffen am 18. März und 13. Juli 1944 stark zerstört worden (Abb. links: die dachlose, "himmeloffene" Kirche). Die Gemeinde zog sich in ihren Betsaal zurück.